Vielleicht liegt es am Meer, wer weiß das schon, aber wenn du an Tel Aviv denkst, denkst du an Leichtigkeit. An Weltoffenheit, an Parties, an lange warme Nächte und an ein Schwirren in der Luft.
Schon aus dem Flugzeug sieht das bloße Auge diese Kilometer lange Strandbank vor einem stetig wachsenden Betondschungel. Wenn man über den von Palmen gesäumten Boulevard schlendert, denkt man an Miami oder Rio und jetzt spürt man, dass der Strand nicht mit dem Übergang von Sand zu Beton ein Ende findet, sondern dass er hier ein Prinzip geworden ist und längst ins Bewusstsein dieser Metropole gesickert.
Jerusalem is heavy, Tel Aviv is easy. So lautet einer der Catchphrases, die man hier so oft um die Ohren geschmiert bekommt. Solche Phrasen wollen natürlich vereinfachen, in wenigen Worten die knallharten Gegensätze fassen, die einem begegnen, wenn man zum ersten mal Israel besucht: In Jerusalem wird gebetet, in Haifa gearbeitet, in Tel Aviv gefeiert. Wieder andere sprechen vom Staat Tel Aviv, der mit dem gesamten Rest des Landes so wenig gemein zu haben scheint.
Natürlich ist das Unsinn. In Wirklichkeit ist auch Tel Aviv nur auf der Oberfläche anders. Fragt man etwa junge arabisch-stämmige Israelis, berichten sie von der anderen Seite einer Gesellschaft, die auf dem Papier sekular und demokratisch ist, aber in der Realität noch einige Meter zu gehen hat auf dem Weg in eine offene, freiheitliche Gesellschaft.
Lässt man den Strand hinter sich und die Allenby Road mit ihren schicken Cafés, den Bars, den Clubs und wandert ein bisschen weiter hinaus in Richtung Busbahnhof, sieht man einen Aspekt dieser Realität. Dort, wo die Gestrandete sind, die Flüchtlinge aus Afrika, die hier kaum Rechte genießen, drückt gerade als ich sie passiere eine schwarze Frau auf dem Boardstein die Spritze mit dem Hero in ihre Vene.
Tel Aviv ist anders als Jerusalem, anders als Haifa. Aber die Probleme, Paradoxien und Dilemmata des Landes treten hier für jeden Beobachter, der denn bereit ist sie zu erkennen, genauso deutlich zu Tage wie anderswo.
Israel – das ist eine hochkomplexe Gesellschaft, eine Gesellschaft, die immer noch oder immer wieder auf der Suche nach sich selbst ist. Zwischen rechts und links, Aufbruch und Tradition, zwischen junger Tech-Nation, Demokratie und Terrorangst, jüdischer Identität und Nahostkonflikt.