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Kritik: The Mild High Club – Unverkennbar weird

Man kennt das Gefühl, wenn man jemals den Anfang von Strawberry Fields auf einer alten Beatles Platte gehört hat: Das Knacken der Nadel, dann setzt das Melotron ein und jeder Viertel-Akkord auf den von Tonband gespeisten Tasten des Instruments versprüht ein hypnotisches Vibrieren. Dann das Drum Break, „Let me take you down, cause i’m goin to“… der ganze Song schwelgt in leichter Dösigkeit, hat etwas Esotherisches, Entrücktes. Ungefähr genauso sieht Alexander Brettin aus. Er steht mit halb geschlossenen Augen im schummriggelben Scheinwerferlicht eines kleinen Berliner Clubs. Breiter Schnauzer über der Lippe, langes, gewelltes Haar, grüner Parka, obwohl alle längst schwitzen. Brettin ist Kopf und Stimme von The Mild High Club, einer Band, die gerade auf einem Ableger des Labels Stonesthrow Records aus L.A. ihr Debut „Timeline“ veröffentlicht hat.

Er hat am Columbia College in Chicago Jazz studiert, siedelte dann nach Californien um, wo er im Wohnzimmer mit zwölfsaitiger Gitarre, Macbook und 80er-Jahre-Portakeyboards an seinen Songs tüftelte und sie schließlich auf einen antiquarischen 4-Track-Recorder bannte. Dieser Hang zum Gestrigen springt einem schon von den Pressefotos entgegen. Brettin großformatig abfotografiert vor goldgelber Paisleytapete, Kippe im Mund, ein Auge in eine Rauchschwade gehüllt. In seiner Musik ist es vor allem der Klang der späten 60er Jahre, der immer wieder heranzitiert wird, etwa auf dem herrlich sonnigen „Rollercoaster Baby“, ein Song irgendwo zwischen Beach Boys und Hippiemusik. „Window Pane“, ist einer der ersten Song an diesem Abend und wohl der beste des Albums, klingt pulsierend, angetrieben von Bass, Tambourin und Orgel und trotzdem fast schwebend. Kein anderer wäre eine besser Visitenkarte für „Timeline“. Wenn es etwas später im Titelsong heißt: „You can’t live on a timeline“, könnte man das entweder als launischen Kommentar auf die Social-Media-Realität verstehen.

Mindestens so gut passt der Satz aber auf Brettins Kompositionen. The Mild High Club spielen Musik, die nicht unbedingt von Melodien, also der linearen Folge der Tönen lebt, nicht von einem großen dynamischen Umfang, dem musikalischen Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Die Musik scheint sich viel mehr im Raum auszudehnen. Als eine wohlige Schicht aus Wahwah-Gitarren, Orgeln, buttrigem Bass. Ein warmer Sound, der sich vor dem Ohr aufschichtet, bei dem Brettins Stimme nicht Mittelpunkt ist, sondern Bindemittel. Im melancholisch-süßlichen „Elegy“, jamt und schwankt alles nach ein bisschen Gesang minutenlang auf niedrigem Puls. Die Übergänge zwischen den Songs scheinen fast zu verfließen, die Lieder in einander zu verwachsen. Auch auf der Bühne daddeln sich Brettin und Band ab und zu in bester Session-Manier in Trance. Hier und da glaubt man das Jazzstudium zu hören, doch für das Publikum wird das alles nie zur Belastung.

Nun stellt sich die Frage, warum man sich 2016 Musik anhören sollte, die sich anhört als käme sie aus 1969? Hinzu noch ein Album, das für heutige Verhältnisse recht kurz geraten scheint – nach schmalen 10 Tracks auf gut 30 Minuten zu einem etwas abprupten Ende – und nur wenige Tracks den Willen zur radiofähigen Popsingle beweisen. Die einigermaßen nahe liegende Antwort ist, dass diese ganze herzerwärmende Weirdness, die sich auf „Timeline“ von der ersten Minute an ausbreitet ein rares Gut im aufpolierten Musikgeschäft ist: Ein Album taumlig, melancholisch und leicht verballert wie eine therapeutische Dosis Mariuana nach dem Mittagsschlaf.

Dieser Text zum Album erschien 2016 im 030-Mag.

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